Wirtschaftskräfte entfesseln: Mehr verkaufsoffene Sonntage und weniger Bürokratie sollen den Handel in Nordrhein-Westfalen ankurbeln.
Das sieht ein Gesetzespaket vor, das die Regierungskoalition von CDU und FDP vor kurzem gemeinsam mit der AfD-Opposition im Düsseldorfer Landtag verabschiedet haben. SPD und Grüne stimmten gegen die Änderungen.
Damit werden 13 Gesetze und drei Rechtsverordnungen der rot-grünen Vorgängerregierung vereinfacht oder abgeschafft. So soll unter anderem die Zahl der maximal erlaubten verkaufsoffenen Sonn- und Feiertage, an denen die Geschäfte ab 13 Uhr bis zu fünf Stunden lang öffnen dürfen, auf acht pro Jahr verdoppelt werden.
Verdi dagegen: „Angriff auf die Lebens- und Arbeitsbedingungen“
Innerhalb einer Gemeinde dürfen dann 16 statt bislang elf Sonn- und Feiertage freigegeben werden. Samstags darf rund um die Uhr geöffnet werden. Dies schaffe Rechtssicherheit, meinte Wirtschaftsminister Andreas Pinkwart (FDP) - hatte es doch allein in den vergangenen beiden Jahren 70 gerichtliche Untersagungen gegeben.
Kirchen und Gewerkschaften hatten sich gegen die Neuregelung positioniert. Die Grünen rechnen mit neuen Klagen.
Die Gewerkschaft Verdi kündigte bereits gerichtlichen Widerstand an: „Diese Änderungen widersprechen dem Sinn des grundgesetzlich abgesicherten Sonntagsschutzes“, sagte die Verdi-Landesbezirksleiterin Gabriele Schmidt. „Für uns bedeutet diese Gesetzesänderung einen Angriff auf die Lebens- und Arbeitsbedingungen der Beschäftigten im Handel.“
Handelsverband begrüßt die Änderungen
Der Handelsverband NRW begrüßte dagegen die Reform und lobte die „höhere Rechtssicherheit“, wie der Hauptgeschäftsführer des Verbandes, Peter Achten, sagte.Außerdem wird die „Hygiene-Ampel“ in der Lebensmittelkontrolle abgeschafft und eine elektronische Gewerbeanmeldung ermöglicht - beides spart nach Pinkwarts Berechnungen über eine Million Stunden für Bürokratie. Die Vorschriften zur Vergabe öffentlicher Aufträge werden vereinfacht. Kirchen und Sozialverbände lehnen die Änderungen als „Sozial- und Umweltdumping“ ab. Ein zweites „Entfesselungspaket“ mit 23 weiteren Entbürokratisierungsmaßnahmen ist schon auf dem Weg.
Münsterland: Bisher noch große Zurückhaltung
Spektakuläres bewirkt die Reform nirgendwo. Auch weil der alte Konflikt mit der Gewerkschaft Verdi durch die neue Regelung nicht ausgeräumt wurde. Verdi besteht darauf, dass der Anlass für die Ladenöffnung am Sonntag Hauptgrund für den Innenstadt-Besuch ist und nicht die Shopping-Gelegenheit.
Dennoch heißt es in Warendorf: Die Reform lasse hoffen, dass die Stadt wieder zu vier verkaufsoffenen Sonntagen im Jahr komme. „Trotz geänderter Gesetzeslage gibt es noch viele Unsicherheiten“, rechnet Warendorfs Wirtschaftsförderer Torsten Krumme damit, dass Verdi noch häufiger als bisher gegen verkaufsoffene Sonntage vor Gericht ziehen wird. „Wir werden jetzt erst einmal Erfahrungen sammeln, um einen weiteren verkaufsoffenen Sonntag rechtlich wasserdicht zu haben“, so Krumme.
Hingegen haben sich in Bocholt die Stadtverwaltung, das Stadtmarketing und die Werbegemeinschaften darauf verständigt, weiterhin die Läden nur an vier Sonntagen zu öffnen. Auch in Rheine sagt die Vorsitzende des Handelsvereins, Susanne Schmidt: „Der Handel in Rheine kommt tendenziell mit vier verkaufsoffenen Sonntagen aus. Acht wären für die kleinen Händler fast nicht zu schaffen.“ Zudem hatte sich die Rheine im vergangenen Jahr als erste Kommune im Münsterland mit Verdi auf Regelungen für vier verkaufsoffene Sonntage geeinigt.
In Münster zeichnen sich aktuell ebenso keine Änderungen ab. Die Innenstadtkaufleute haben das Thema praktisch komplett abgehakt, weil sie 2016 gleich doppelt bestraft wurden: Zum einen wurden bereits genehmigte verkaufsoffene Sonntage reihenweise auf dem Gerichtswege wieder kassiert. Zum anderen war ein Bürgerentscheid gegen verkaufsoffene Sonntage erfolgreich. Das Votum ist für zwei Jahre bindend.
Andere Kommunen haben noch nicht entschieden: So wird in Coesfeld der Rat voraussichtlich im April in einer Sondersitzung beraten. Das gilt auch in vielen anderen Münsterland-Kommunen, wie beispielsweise in Ibbenbüren, Hörstel und Sendenhorst. In Dülmen gibt es muntere Diskussionen, aber noch keine konkreten Pläne für mögliche weitere Sonntagsverkäufe.
Keinen Gebrauch von der neuen Regelungen machen wollen beispielsweise Borken, Sendehorst und Hopsten. Das gilt ebenfalls in Telgte. Allerdings beobachtet die örtliche Kaufmannschaft, die in Telgte „Hanse“ heißt, das Ganze sehr genau, um gegebenenfalls an den Konzepten zu feilen. Auch in Lengerich erwartet die Wirtschaftsförderung der Stadt keine Ausweitung der bislang schon vier verkaufsoffenen Sonntage.
Anders in Recke: Dort plant die örtliche Wirtschaftsinitiative einen zusätzlichen Öffnungstermin – und zwar als „Neujahrsempfang“ am 6. Januar 2019.
Und in Ahlen?
Auch in Ahlen ist die Meinung zu verkaufsoffenen Sonntagen nicht einheitlich. Die bisherige Regelung allerdings stellte weder die Kaufleute noch die Kunden zufrieden, gab es doch 'nur' drei Termine: Stadtfest, Pöttkes- und Töttkenmarkt sowie zum Ahlener Advent. Insbesondere die Textilkaufleute drängen auf einen zusätzlichen Termin im Frühjahr (Mai), um ihre neuen Kollektionen präsentieren zu können. Der Frühjahrstermin -früher mit der Maikirmes gekoppelt- war jedoch nach der bisherigen Regelung weggefallen. Ob es nun wirklich acht Termine im Jahr sein müssen, sei dahin gestellt. Insbesondere kleine Einzelhändler stellt dies vor Probleme, da sie in der Regel nicht über das notwendige zusätzliche Personal verfügen, das für die Zusatzöffnungszeiten gebraucht würde. Außerdem, wie es ein Ahlener Einzelhändler formulierte: "Bei acht Sonntagen stellt ein verkaufsoffener Sonntag keine Besonderheit mehr dar. Deshalb sollten Verkaufsöffnungen auch mit besonderen Events einher gehen, um deren Attraktivität zu erhalten."
Entscheiden wird unter anderem der Rat der Stadt, wahrscheinlich in enger Abstimmung mit Wirtschaftsförderung und Kaufleuten der Stadt Ahlen.